Europäische Fledermausrufe - Aufzeichnen und Bestimmen

Tiefe WEAs und Implikationen

Durch die Energiepolitischen Ziele in Deutschland wird mittlerweile verstärkt auch an Schwachwind-Standorten Windkraft genutzt. Dafür sind auch speziell entwickelte Windenergieanlagen im Einsatz, die einen großen Rotor auf niedriger Nabenhöhe platzieren. So drehen die Rotorspitzen bei ca. 30 Metern über dem Boden. Diese Anlagen müssen im Hinblick auf Vogel- und Fledermausschlag ganz anders beurteilt werden als dies bisher durch Leitfäden vorgesehen ist. Die Leitfäden beziehen sich bei Fledermäusen auf die Ergebnisse des BMU-Projekts, bei dem höhere Anlagen untersucht wurden. Es gibt Hinweise, dass diese Schwachwind-Anlagen eine viel größere Gefahr als hohe Anlagen für Fledermäuse darstellen.

Schwachwind-WEA und niedrige Masten

Die Klimaziele sind hoch gesteckt und der Ausbau der erneuerbaren Energien muss schnell voranschreiten um diese zu erfüllen. Die EEG Novellierung 2017 wird dies - laut Planern - stark erschweren, so dass 2015 und 2016 ein noch stärkerer Planungsboom besteht als in den Jahren zuvor. So sollen auch zahlreiche Schwachwindstandorte für den Ausbau der Windenergie realisiert werden. In meinem Wohnumfeld zum Beispiel kann ich dies bei Anlagen der Stadtwerke Münster direkt beobachten, die momentan drei Nordex N117 betreibt und zahlreiche weitere bereits jetzt planen. Diese Nordex stehen in Münster auf Türmen mit einer Nabenhöhe von 91 m. Durch den großen Rotor mit 58,5 m Radius streift die untere Rotorspitze in 32,5 m Höhe über den Boden. An anderen Standorten in Niedersachsen stehen ähnlich konfigurierte Anlagen eines anderen Herstellers. Deren Rotoren streichen in 30 m Höhe über den Boden. Letztere wurden ausführlicher durch den Naturschutz untersucht, mit erschreckendem Ergebnis: Trotz einer Abschaltung analog zum BMU-Projekt hat sich die Schlagopferzahl nicht verändert. So werden dort mittlere zwei-stellige Zahlen an echten Opfern gefunden. Es scheint so, als sind diese tiefen Anlagen eine größere Gefahr für Fledermäuse als die hohen Pendants. Daher werde ich versuchen diese Anlagen im Hinblick auf das bekannte Wissen einzuordnen.

Forschungsergebnisse des BMU als Referenz

Die Anlagen im BMU-Projekt (Brinkmann et al 20111) hatten zumeist einen 70m Rotor (Durchmesser) und waren im Median auf 98 m hohen Türmen installiert. Die minimale Turmhöhe betrug 63 m und die maximale 114 m. Ausgehend vom Median wurde der Luftraum im Bereich von 63m bis 130m überstrichen. Weiterhin wurde ein signifikant negativer Einfluss der Turmhöhe auf die Schlagwahrscheinlichkeit erhalten. Bei niedrigen Türmen bzw. tiefer-reichenden Rotoren ist mit höheren Opferzahlen zu rechnen. Das wird so auch im BMU-Abschlussbericht nochmals unter anderem auf Seite 374 hervorgehoben.

Vergleich der BMU-Referenz-Anlagen und der modernen Anlagen wie in Münster

In der Abbildung erkennt man die Unterschiede der BMU-Referenz zu “tiefen Anlagen”, wie sie zum Beispiel in Münster gebaut werden. Durch Bäume sind typische Vegetationshöhen angezeigt. Die Fledermaus-Silhouette zeigen Höhenverteilungen an (dazu folgt noch mehr im weiteren Text). Rechts in der Abbildung ist eine anderer Konfiguration der Nordex N117 gezeigt. Diese hat einen 120 m hohen Mast, das entspricht der mittleren von Nordex verkauften Anlage. Außerdem gibt es noch eine Anlage mit 140 m Masthöhe.

Flughöhen von Fledermäusen

Nicht selten erhalte ich Anrufe von Windrad-Betreibern, die Flughöhen der Fledermäuse von 100 oder 150 m nicht glauben wollen oder können. Da wir uns selten Nachts in solchen Höhen aufhalten, fehlen uns Erfahrungswerte. Zu meist wähnen die Anrufer die Fledermäuse aus den eigenen Erfahrungen in niedrigeren Höhen. In solchen Telefonaten fällt dabei häufig: 20 bis 30 m sieht man ja immer wieder, nur höher halt nicht. Das zeigt, dass sogar solche Nicht-Fachleute Flughöhen von 30 m als normal ansehen.

Durch Sichtbeobachtung von Fledermäusen in der Abenddämmerung kann man erkennen, dass selbst kleinere Arten in oder etwas über Baumwipfelhöhe fliegen und jagen. Größere Arten wie die beiden Abendsegler oder die Breitflügelfledermaus sieht man in der Abenddämmerung auch schon in 30 bis 50 m Höhe über Offenland. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass größere Arten häufig bis 40 m hoch fliegen. Mit zunehmender Höhe wird die Aktivität in der Regel geringer. Aber auch in 150 m Höhe treten sie eben noch so häufig auf, dass es zu regelmässigen Schlagopfern kommt oder Tonaufnahmen erhalten werden.

Flughöhen und Fledermausdichten im Vergleich der Windradhöhen

Zeichnet man das als Dichtefunktion in Abhängigkeit der Höhe, dann ergibt sich ein Bild ähnlich der obigen Grafik. Mit zunehmender Höhe nimmt die Aktivität erst langsam und dann stärker ab. Auch in 150 m Höhe ist mit vereinzelter Aktivität zu rechnen. Jedoch lässt ab einer Höhe im Bereich von 30 bis 50 Metern die Aktivität dann stark nach. Den genauen Verlauf muss man vermutlich je Standort ermitteln, da wird es bedingt durch lokale Gegebenheiten sicherlich Unterschiede geben.

Fledermäuse zeigen bei der Jagd sehr gut verfügbare Nahrung an. Die Insekten selber bewegen sich im Luftraum und sind dabei nicht immer an Vegetation gebunden. Schwärmende Ameisen oder Käfer, ebenso wie Nachtschmetterlinge können auch größere Höhen erreichen. Dies kann man übrigens auch tagsüber sehr gut erkennen, wenn man die Pendants der Fledermäuse bei der Jagd beobachtet. Mauersegler und Schwalben jagen manchmal dicht über dem Boden und an anderen Tagen in teils großer Höhe.

Beim Anflug an einen Mast in Bodenhöhe zeigen manche Fledermausarten ein Explorationsverhalten z.B. auch wegen einer Ähnlichkeit zu Bäumen. Je niedriger der Rotor dreht, desto schneller erreichen Fledermäuse den für sie tödlichen Flugbereich. Auch Arten, die normalerweise Vegetations- oder Bodennah fliegen, können bis in 30m Höhe aufsteigen, um zum Beispiel den Anlagenmast zu inspizieren. Bei höheren Rotoren drehen manche Fledermäuse dann eher wieder ab, bevor sie in den Gefahrenbereich gelangen und werden so nicht geschlagen.

Leitfäden der Bundesländer

Die Leitfäden, die in Deutschland zur Anwendung kommen, basieren auf den Ergebnissen des BMU-Projekts. Es wurden daraus die Parameter für Abschaltalgorithmen abgeleitet oder direkt übernommen. Dabei wurde jedoch einzig auf Umweltfaktoren (Temperatur, Windgeschwindigkeit, Jahreszeit) eingegangen und weitere Ergebnisse wie zum Beispiel der Einfluss der Nabenhöhe gänzlich ignoriert. Daher wird eine “tiefe Anlage” momentan genauso behandelt wie eine “hohe Anlage”, obwohl sich das Schlagrisiko unterscheidet.

Häufig wird ein akustisches Gondelmonitoring durchgeführt, um die Abschaltung für den Standort genauer zu Parametrisieren. Das Gondel-Monitoring ist dafür in der Regel auch gut geeignet, denn Fledermäuse im offenen Luftraum lassen sich gut so erfassen. Zwar ist der Rotor meist größer als die Reichweite der Aufnahmegeräte, aber die Fledermäuse nähern sich an die Gondel an, die sie im Gegensatz zu den drehenden Rotoren gut orten können. Im Idealfall fliegt die Fledermaus in ähnlicher Höhe wie die Nabe. So gelingen dann auch Aufnahmen (wenn die Tiere nicht deutlich vorher geschlagen werden).

Potentielle Flugrouten und Ortungsrichtungen in niedrigen und hohen Flugsituationen

Die Reichweite der Erfassung hängt dabei sehr stark von der Ruflautstärke der Fledermäuse und bedingt auch von der Ortungsrichtung bzw. Bündelung der Laute ab. In der Abbildung oben sind typische Erfassungsreichweiten in blauen Farbtönen hinterlegt. Die Ruflautstärke kann durch das Tier entsprechend der Flugsituation auch angepasst werden - zwischen leise und laut kann sich dabei das 10-fache an Unterschied ergeben (20 dB). Je näher an Vegetation oder generell Strukturen gejagt wird, desto leiser werden die Rufe und desto gebündelter. Hierzu wurden zum Beispiel von den Unis Erlangen-Nürnberg oder Tübingen zahlreiche Daten am Boden gesammelt.

Es gibt zwar bisher keine entsprechenden Untersuchungen zur Jagd in Gondelhöhe, aber es wäre nicht verwunderlich, wenn in 30 m Höhe Rufe häufiger leiser sind als im Vergleich zu Rufen in Gondelhöhe. Fledermäuse passen die Ruflautstärke zum Beispiel so an, dass möglichst Echos aus des “Hintergrunds” minimiert werden um Beuteechos deutlicher wahrzunehmen. Auch wird die Fledermaus in 30 m Höhe wohl häufiger ihre Ortungsrufe in die Horizontale oder nach unten ausrichten, da sich dort höhere Beutedichten befinden werden und aus physikalischen Gründen Sturzflüge die Jagd erleichtern (Momentum!). In Gondelhöhe wird für die Jagd sicherlich eine stärker omnidirektionale “Ausleuchtung” des Luftraums genutzt, um die eher verstreuten Beutetiere zu finden. Einzig ziehende Tiere werden in der Wanderungszeit auch in der Höhe vermutlich primär in Vorausrichtung orten.

Die Detektionswahrscheinlichkeit von Tieren in 30 m Höhe wird daher deutlich geringer sein, als die von Tieren in zum Beispiel 100 oder 150 m Höhe. Das akustische Monitoring in der Gondel ist daher unter Umständen nicht ausreichend zur Detektion schlaggefährdeter Tiere in 30 m Höhe und liefert für diese keine ausreichenden Daten für eine Beurteilung. Auch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit des Schlags von Arten, die eigentlich nicht als Schlaggefährdet gelten, wenn die Rotorspitze in 30 m dreht. Auch Myotis-Arten können dann an manchen Standorten zu Opfern zählen. Deren Rufe sind deutlich leiser als die der Gattungen Pipistrellus, Nyctalus oder Eptesicus und werden beim Gondel-Monitoring mit sehr hoher Sicherheit (99,9%) komplett überhört werden. Damit werden diese Arten trotz potentieller Gefährdung an niedrigen Anlagen weder durch Leitfaden noch durch Monitoring geschützt.

Fazit

Mit großer Wahrscheinlichkeit ist bei tief-drehenden Rotoren von WEAs (30 m bis 40 m Rotorunterspitze) die Gefährdung von Fledermäusen deutlich höher als bei höheren WEAs. Die Aktivitätsdichten ebenso wie das gefährdete Artenspketrum unterscheidet sich im Vergleich zu höheren Anlagen - unter Umständen sehr deutlich. Die momentanen Genehmigungsverfahren basieren auf Leitfäden, die dieses Problem nicht berücksichtigen. Angelehnt an die Ergebnisse des BMU-Projektes, bei dem im Median höhere Anlagen untersucht wurden, wird so an vielen Standorten kein ausreichender Schutz der Fledertiere durchgeführt. Wichtige Ergebnisse des Projektes, die dieses Problem teilweise mit aufgreifen, werden in den Leitfäden gänzlich ignoriert. Wenn der Fachgutachter diese besondere Situation nicht erkennt - und leider scheint dies für zahlreiche Gutachten zuzutreffen - dann wird eine Betriebs-Genehmigung erteilt, die fachlich nicht fundiert ist. Das bedeutet eine hohe Unsicherheit für den Betreiber und eine erhöhte Gefährdung der Fledermäuse. Vermutlich sind auch manche Vogelarten deutlich stärker betroffen.

Daher sollten Gutachter diese Situation besonders beachten und die Genehmigungsbehörde wie auch die Anlagen-Betreiber hier mit einbinden, um eine bessere Lösung zu finden. Denn ansonsten ist mit nachträglichen Abschaltungen zu rechnen, die eigentlich durch kompetente Beratung nicht nötig wären.

Lösungen?

Es sollte primär versucht werden, solche niedrigen Anlagen erst gar nicht zu bauen. So werden naturschutzrechtliche Probleme bereits auf ein Minimum reduziert. Laminare Strömungen ebenso wie optisch-beruhigende Aspekte sprechen ebenso für höhere Anlagen bei Verwendung großer Rotoren.

Wenn nicht auf solche Anlagen mit tiefen Rotoren verzichtet werden kann, sollten am besten angepasste Abschaltalgorithmen entwickelt werden. Das bedeutet spezielle Untersuchungen mit standardisierter Schlagopfersuche und einem erweiterten akustischen Monitoring mit einem zusätzlichem Erfassungsgerät in ca. 10 m unter der tiefsten Stelle des Rotors. Dieses kann zum Beispiel in 20m Höhe am Mast angebracht werden. Es kann mit reduzierter Empfindlichkeit betrieben werden, um nicht durch Bodennah fliegende Individuen verfälschte Aktivitätsergebnisse zu liefern.

Leider unterliegen diese Anlagen momentan keinen besonderen Abschaltungen, häufig können sie, wie z.B. in Münster, ganz ohne Naturschutzfachliche Nebenbestimmungen betrieben werden. Die Standard-Abschaltungen nach den Leitfäden sind - wie oben erwähnt - nur bedingt geeignet und sicherlich an zahlreichen Standorten nicht ausreichend. Da die Leitfäden nur Empfehlungen sind und keine Gesetze, können und müssen die Gutachter zusammen mit den Genehmigungsbehörden hier durch strengere Abschaltungen im Sinne des Vorsorgeprinzips entsprechend Empfehlungen ausgeben und auch durchsetzen. Standorte, die dann nicht mehr rentabel sind, sollten unter Umständen verworfen werden. Denn wenn es tatsächlich eine erhöhte Schlaggefahr für Fledermäuse und Vögel gibt, dann wäre eine nachträgliche Reglementierung für den Betreiber ein großes wirtschaftliches Problem. Solche nachträglichen Genehmigungsänderungen sind im Rahmen durch das BimschG vorgesehen und könnten dann auch umgesetzt werden. Für den Ausbau der Windkraft wäre das auch nicht unbedingt positiv öffentlichkeitswirksam.

  1. Brinkmann, R., O. Behr, I. Niermann & M. Reich (Hrsg)(2011): Entwicklung von Methoden zur Untersuchung und Reduktion des Kollisionsrisikos von Fledermäusen an Onshore-Windenergieanlagen. - Umwelt und Raum Bd. 4, Cuvellier-Verlag, Göttingen 

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