Europäische Fledermausrufe - Aufzeichnen und Bestimmen

Ins Blaue hinein

In der Landschaftsplanung müssen meist auch die Auswirkungen von Planungen auf Fledermäuse untersucht werden. Liegen bereits ausreichend Daten aus dem Gebiet vor, können diese als Grundlage herangezogen werden. Zur Sammlung solcher Daten werden bei den Behörden Datenbanken geführt. Kann nun im Umkehrschluss das Fehlen von Daten auch als Fehlen von Fledermäusen interpretiert werden? Können Planer freigestellt werden von Untersuchungen, wenn keine Daten vorhanden sind? Oder: kann einem Planer zugemutet werden, ins Blaue hinein Fledermäuse untersuchen zu müssen, wenn keine Daten vorhanden sind?

Aktueller Anlass: Windleitfäden

Aktuelle Windleitfäden - u.a. aus Bayern1 oder NRW2 - fordern nur dann Fledermaus-Untersuchungen, wenn es bereits ernst zunehmende Hinweise aus dem überplanten Gebiet gibt. Nur dann ist vom Fledermausschlag auch auszugehen, und somit die Gefährdungsabschätzung nötig. Ansonsten kann dies nicht vom Auftraggeber verlangt werden. Rechtlich wird dies untermauert durch das Urteil BVerwG 9 A 14.07 Rn. 543. Hier als Auszug:

… setzt … eine ausreichende Ermittlung und Bestandsaufnahme der im Trassenbereich vorhandenen Tierarten und ihrer Lebensräume voraus …Das verpflichtet die Behörde nicht, ein lückenloses Arteninventar zu erstellen. … Lassen bestimmte Vegetationsstrukturen sichere Rückschlüsse auf die faunistische Ausstattung zu, so kann es mit der gezielten Erhebung der insoweit maßgeblichen repräsentativen Daten sein Bewenden haben. Sind von Untersuchungen keine weiterführenden Erkenntnisse zu erwarten, müssen sie auch nicht durchgeführt werden. Untersuchungen quasi „ins Blaue hinein“ sind nicht veranlasst.

1. Ausreichendes Artinventar ermitteln durch Bestandsaufnahme oder aus Gegebenheiten ableiten
2. Sind keine weiterführenden Erkenntnisse zu erwarten, auch keine Erhebung nötig

Solche Untersuchungen, die keine neuen Erkenntnisse liefern, versteht das Gericht als ins Blaue hinein. Das bedeutet, dass die Datenbank der Behörde alle relevanten Fledermausdaten des Gebiets enthält oder der Naturraum einen sicheren Ein- oder Ausschluss relevanter Fledermaus-Arten ermöglicht.

Datenbankrecherche als ultimative Lösung?

Oder: Sind gefährdete Arten in der Datenbank des LfU oder des LANUV (um in BY und NRW zu bleiben) eingetragen, muss nicht weiter untersucht werden, da eine Gefährdung angenommen werden kann. Enthält die Datenbank keine Einträge, sind keine Fledermäuse vorhanden und es besteht auch keine Gefährdung. Daher sind Untersuchungen eigentlich gar nicht mehr nötig?! Dieser Ansatz wäre natürlich dann korrekt, wenn die Länder solche Datenbanken umfangreich füllen würden. Jedoch bestehen die Daten momentan aus Zufallsmeldungen sowie den Daten einiger Untersuchungen. Eine Meldepflicht aller erfasster Daten gibt es nicht, so dass zahlreiche Auftraggeber erhobene Daten nicht melden. Damit kann die Datenbank keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben.

Naturraumausstattung beachten!

Also ist das Fehlen eines Eintrags in der Datenbank nicht gleich zu setzen mit einem negativen Untersuchungsergebnis! Eigentlich egal, denn laut obigem Gerichtsurteil reicht es bereits aus, wenn die Naturraumausstattung die Anwesenheit einer Art nahelegt. Daher kann beinahe überall in Bayern und NRW mit Arten der Gattung Nyctalus gerechnet werden. Somit ist eine Gefährdung auch immer möglich. Die nötigen Untersuchungen sind also nicht ins Blaue hinein, sondern nötig. Wieso?

  1. Arten dieser Gattung nutzen Baumhöhlen als Quartiere: Anwesenheit von Bäumen bedeutet damit auch potenzielle Quartiere.
  2. Jäger des freien Luftraums: Diese Arten weisen nur eine sehr geringe Bindung an Strukturen auf, jagen viel mehr ungebunden im freien Luftraum. Jagdgebiete liegen bis zu 20km vom Quartier entfernt.
  3. Auftreten während des Zugs: Es handelt sich um typische Langstreckenzieher die im Herbst von Nordost nach Südwest und im Frühjahr umgekehrt ziehen. Dabei legen sie bis zu 2500km zurück.

Drei gute Gründe, diese Arten im Gebiet zu erwarten. Auch wenn Punkt 1. und 2. abgelehnt werden, mit Zugereignissen ist im Frühjahr und vor allem im Herbst immer zu rechnen. Für andere Arten und Artengruppen lassen sich ähnliche Szenarien erstellen. Damit müssen eigentlich immer Daten erhoben werden, denn wiederum aus dem obigen Abschnitt des Gerichtsurteils:

Der individuumsbezogene Ansatz der artenschutzrechtlichen Vorschriften verlangt Untersuchungen, deren Ergebnisse die Planfeststellungsbehörde in die Lage versetzen, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Verbotstatbestände zu überprüfen. Hierfür benötigt sie jedenfalls Daten, denen sich in Bezug auf das Plangebiet die Häufigkeit und Verteilung der geschützten Arten sowie deren Lebensstätten entnehmen lassen. Nur in Kenntnis dieser Fakten kann die Planfeststellungsbehörde beurteilen, ob Verbotstatbestände erfüllt sind.

Sehr klar formuliert: für die Planfeststellungsbehörde sind belastbare Daten zur Verteilung und Häufigkeit einer Art nötig, um Verbotstatbestände zu prüfen. Das steht in dem selben Abschnitt, der wegen der Untersuchungen ins Blau hinein in die Leitfäden mit aufgenommen wurde. Nun, was ist denn jetzt korrekt? Nicht ins Blaue aber mit Fakten? Vermutlich muss auch dafür früher oder später ein Gericht herangezogen werden. Als Planer würde ich jedoch unbedingt Daten erheben, um dem zitiertem Urteil gerecht zu werden. Wenigstens in NRW. Die Bayern haben in obigem Urteil weitergelesen und sind noch fündig geworden und versuchen sich noch herauszuwinden.

Niemand soll Grundlagenforschung betreiben müssen

Während man es in NRW dabei belassen hat (und so vielleicht ein Hintertürchen offen hält?), haben die Bayern noch mehr aus dem Oben genannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts herangezogen. Und zwar eine einfache Möglichkeit den Fledermauszug ebenso auszuklammern. Aus BVerwG 9 A 14.07 Rn. 54 Rn. 66:

Von daher ist eine naturschutzfachliche Meinung einer anderen Einschätzung nicht bereits deshalb überlegen oder ihr vorzugswürdig, weil sie umfangreichere oder aufwändigere Ermittlungen oder „strengere“ Anforderungen für richtig hält. Das ist erst dann der Fall, wenn sich diese Auffassung als allgemein anerkannter Stand der Wissenschaft durchgesetzt hat und die gegenteilige Meinung als nicht (mehr) vertretbar angesehen wird. Die artenschutzrechtlichen Vorschriften verlangen vom Vorhabenträger bzw. von der Planfeststellungsbehörde nicht, bei wissenschaftlichen Unsicherheiten oder Meinungsverschiedenheiten Forschungsaufträge zu vergeben (Urteil vom 17. Januar 2007 a.a.O. BVerwGE 128, 1 <Rn. 66> zum Habitatschutz) oder Untersuchungen anzustellen, deren Aufwand und wissenschaftlicher Anspruch letztlich auf solche hinauslaufen. Nehmen sie insoweit einen nach aktuellem Erkenntnisstand fachwissenschaftlich vertretbaren Standpunkt ein, so ist dagegen rechtlich nichts zu erinnern.

Im Bayerischen Windleitfaden wird genau dies aufgegriffen, um Untersuchungen unnötig zu machen. Wie?

Über das Zugverhalten von Fledermäusen gibt es derzeit jedoch keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse.

Sehr einfach, ein Satz. Es stimmt definitiv, dass die wissenschaftliche Forschung noch nicht eindeutig herausgefunden hat, wie das Zugverhalten genau aussieht. Hier wird darüber gestritten, wie sich die Tiere genau orientieren, um mehrere Tausend Kilometer weit zu fliegen und genau am gewünschten Baumquartier ankommen. Da es kaum noch Fledermausforscher gibt - der Staat will lieber moderne molekulare Biologen - wird es sicherlich auch noch dauern, bis hier Ergebnisse vorliegen.

Aber mal Butter bei die Fische: Die Wissenschaft streitet ich nicht darüber, dass Fledermäuse ziehen. Das ist ein Fakt. Darüber gibt es gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse. Die Großen Abendsegler mit Ring, gefunden im Süden Bayerns wurden zum Beispiel beringt in Brandenburg,… Damit sind sie in Gebieten auf ihren Zugrouten zu erwarten. Und diese Zugrouten erstrecken sich über die gesamte Republik. Also kann man diese Ausrede nicht gelten lassen. Daher muss überall mit ziehenden Arten gerechnet werden, wozu dann neben den Abendseglern noch weitere Arten hinzukommen. Interessanterweise vor allem die bisher als typische Schlagopfer erfassten Arten. Als gäbe es wirklich einen Zusammenhang zwischen Schlag an WEA und Zugverhalten.

Fazit

Eigentlich sollte schon aus Gründen der Gerichtsfestigkeit bis auf Weiteres immer untersucht werden. Damit die Datenbanken vielleicht später einmal ausreichen, um unkritische Bereiche zu identifizieren, sollten vor allem die Windplaner über ihren Schatten springen. Wie? Alle in deren Auftrag erhobenen Daten melden! So sparen sie auf Dauer Kosten für Untersuchungen und können sehr viel effizienter Standortplanungen durchführen.

Ebenso sollten alle Naturschützer Daten melden, je mehr, desto besser. Nur so können bisher weisse Flecken der Landkarte, an denen momentan ohne Untersuchung WEAs geplant werden dürfen, mit Leben gefüllt werden.

Und vielleicht werden ja entsprechende Passagen der Leitfäden bald nachgebessert, eine fortschreitende Verbesserung soll erfolgen. Anderen Bundesländern rate ich bei der Erstellung der Leitfäden gleich zu Beginn zu mehr Übersicht ;)

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